Paul Freysinger ist Vorstandsmitglied der Bundesjugendvertretung, Student und Mitbegründer der Initiative Gut, und selbst?. In Folge #25 spricht er mit Host Sophie Mayr über die Bedeutung von mentaler und psychischer Gesundheit und das Mental Health Jugendvolksbegehren 2022. Enttabusieren, Bewusstsein schaffen und ermutigen sind die ersten Schritte, um Kinder und Jugendliche bei diesem Thema zu erreichen.
Die multiplen Krisen der vergangenen Jahre haben in der psychischen Entwicklung zahlreicher Kinder und Jugendlichen deutliche Spuren hinterlassen.
COPSY (Corona und Psyche) Studien aus Deutschland, die HBSC-Studien (Health Behaviour in School-Aged Children Study), die Covid-19 Kinderstudien der Tirol Kliniken unter der Leitung von Primaria Kathrin Sevecke, als auch die Studien der Donau Universität Krems in Kooperation mit der Medizinischen Universität Wien und der Bundesschülervertretung (BSV) unter der Leitung von Prof. Christoph Pieh und Prof. Paul Plener, sowie die Studie des ÖBVP unter der Leitung von Prof. Peter Stippl und Dr. Markus Böckle zeigen die vielfältigen Belastungen der Kinder und Jugendlichen bzw. die Auswirkungen der Pandemie deutlich auf.
Ängste, Schulverweigerungen, Depressionen, Essstörungen und Persönlichkeitskrisen manifestieren sich bei Kindern und Jugendlichen am häufigsten. Ging man nach der Aufhebung der Lockdowns und der Wiederaufnahme eines strukturierten Ablaufes im Lebensraum Schule von einer Rückkehr zur „alten Normalität“ aus, so untermauern die durchgeführten Studien und die vollen Praxen von Psychotherapeut:innen leider ein anderes Bild. Die Bedrohung der Pandemie und die dadurch entstandene Angst, v.a. auch der Verlust der Alltagsstruktur, haben sich empfindlich auf wichtige Entwicklungsschritte und somit auch auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendliche ausgewirkt. Dies zeigt sich u.a. dadurch, dass der Konsum von Medien im Vergleich zu vor der Pandemie deutlich angestiegen ist.
Die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen im Zusammenhang mit der Nutzung digitaler Medien ist ein Thema, das in den letzten Jahren vermehrt Aufmerksamkeit erhalten hat. Digitale Medien, darunter Smartphones, soziale Netzwerke, Videospiele und das Internet im Allgemeinen bieten viele Vorteile, bringen jedoch auch Herausforderungen und Risiken für die psychische Gesundheit mit sich. Sich-ständig-mit-anderen-Vergleichen kann das eigene Körpergefühl beeinträchtigen und zu einer Störung des Selbstwertgefühls führen. Zudem kann das Ausweichen auf digitale Kontakte durch den Mangel an In-Präsenz-Begegnung zu Einsamkeit und sozialer Isolation führen können.
Forschungsarbeiten und Studien zeigen, dass der Medienkonsum durch den Wegfall gesellschaftlicher Aktivitäten während der Pandemie drastisch zugenommen hat. Insbesondere für Jugendliche ist der physische Kontakt zu Freund:innen essenziell für ihr Wohlbefinden und für die Entwicklung ihrer Sozialkompetenz. Durch die Kontakteinschränkungen wurde vermehrt auf mediale Kommunikationsmöglichkeiten wie Zoom oder Skype zurückgegriffen. Es bestand so zwar virtueller Kontakt, das Gefühl nach körperlicher Nähe konnte dabei jedoch nicht erfüllt werden. Dieser Mangel führte bei vielen Kindern und Jugendlichen zu einem Gefühl von Einsamkeit. Obwohl innerhalb von Familien alternative Beschäftigungsmöglichkeiten wie Gesellschaftsspiele initiiert wurden, blieb der mediale Konsum dennoch das dominierende Kommunikations- und Beschäftigungsmittel während der Pandemie. Durch das Schließen von gesellschaftlichen Begegnungszonen blieb insbesonders Jugendlichen die Möglichkeit nach altersgerechten Erfahrungen einer „normalen“ Jugend verwehrt. Durch das Sperren von Spielplätzen konnten Kinder nur erschwert ihrem Bewegungsdrang nachkommen, ebenso blieb der Kontakt zu Gleichaltrigen aus, wodurch die Entwicklung sozialer Kompetenzen im Umgang mit anderen Kindern sowie die Entfaltung kindlicher Fantasie beeinträchtigt wurden.
Die Auswirkungen der Pandemie zeigen sich noch lange Zeit nach den Lockdowns. Umfragen verschiedener Studien beschreiben das Stimmungsbild der Kinder und Jugendlichen nach der Pandemie als durchaus belastet. Ergebnisse, der in Deutschland durchgeführten COPSY-Studie belegen, dass Kinder und Jugendliche im Vergleich zu vor der Pandemie eine geminderte Lebensqualität aufweisen, der Anteil psychischer Erkrankungen um das Doppelte zunahm und das Gesundheitsverhalten sich verschlechterte. Aufgrund des abrupten Wegfalls gesellschaftlicher Aktivitäten wurden Kinder und Jugendliche kritischen Lebensereignissen ausgesetzt. Die Folgen des Lockdowns sind ernst – Kinder und Jugendlichen fühlen sich zunehmend gereizt, unruhig, ängstlich und zeigen Konzentrationsschwierigkeiten als deutliche Belastungsproblematiken. Der Medienkonsum kann als eine Art Kompensationsmechanismus gedeutet werden, mit dem Ziel, der Wirklichkeit zu entfliehen und ein Gefühl der Sicherheit bzw. Selbstbestimmung herzustellen, indem selbst entschieden werden kann, welche Art von Medien konsumiert werden. Jedoch zeigte sich recht schnell, dass die Zunahme des Medienkonsums negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit hat: die Grenzen des realen und virtuellen Lebens können zunehmend verschwimmen. Er führt zu weniger Bewegung und ungesünderer Ernährung. Das Ausmaß des Medienkonsums verschiebt alltägliche Routinen, stört den Schlafrhythmus und verschlechtert das allgemeine Gesundheitsverhalten. All diese Faktoren wirken sich negativ auf schulische Leistung und soziale Interkationen aus. Der vermehrte Medienkonsum beeinträchtigt das Selbstwertgefühl, da Medien (Instagram, TikTok etc.) konsequent idealisierte Stereotype vermitteln, die die Konsument:innen unter Druck setzen und Selbstunzufriedenheit fördern. Es ist anzunehmen, dass sich Schönheitsideale ab Pandemiezeiten verstärkt in unser Bewusstsein und Leben eingebrannt haben. Insbesondere Jugendliche lassen sich von medial vermittelten Inhalten manipulieren, weshalb präventive Maßnahmen umso wichtiger erscheinen. Ein zusätzliches Risiko stellt die zunehmende Nutzung digitaler Plattformen von fanatischen, religiösen Predigern dar, wodurch sich Jugendliche leichter radikalisieren.
Aufgrund der psychischen Belastungen wurde im Jahr 2020 das Projekt „Gesund aus der Krise“, gefördert durch die Mittel des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemeinsam mit der Berufsvertretung österreichischer Psychologinnen BÖP und dem Berufsverband österreichischer Psychotherapeut*innen ÖBVP, österreichweit gestartet. Dieses Vorzeigeprojekt im Bereich psychischer Gesundheit für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsenen bis 21 Jahre hat sich seither bundesweit etabliert. Das Projekt ist nun in der dritten Phase angekommen und um Musiktherapeut:innen mit spezieller Zertifizierung als Behandler:innen erweitert worden.
„Gesund aus der Krise“ bietet einen niederschwelligen, kostenlosen und wohnortnahen Zugang zu psychologischer/gesundheitspsychologischer und psychotherapeutischer Behandlung und Beratung. Im Zeitraum April 2022 bis Juni 2024 wurden 22.000 Klient:innen in ganz Österreich behandelt. Die dritte Projektphase wurden mit weiteren 10.000 Behandlungs- und Beratungsplätze ausgestattet und läuft bis 30. Juni 2025. Die Berufsverbände plädieren für eine Übernahme in die Regelversorgung.
Ein Ort, der durch die Auswirkungen der Pandemie belastet ist, ist der Lebensraum Schule. Durch die sichtbaren psychischen Probleme entwickelt sich langsam das Bewusstsein, mentale Gesundheit an Schulen zu fördern:
Zur Suizidprävention veranstaltet Golli Marboe beispielsweise sog. „Mental Health Days“ an zahlreichen Schulen Österreichs.
Der ÖBVP hat das Projekt fit4SCHOOL gegründet, welches österreichweit an einigen Schulstandorten durchgeführt wird. Ein/e Schulpsychotherapeut:in ist einmal pro Woche bis zu 4 Stunden an der Schule. Seine/Ihre Aufgabe liegt vor allem in der Prävention und in der Vermittlung der entsprechenden Unterstützung für Schüler:innen und Lehrer:innen. Unter dem Leitsatz „Darüber reden hilft“ sollen Schüler:innen bei psychischen Krisen und Herausforderungen unterstützt und Ressourcen mobilisiert werden. Entscheidend, um bestmögliche präventive Ergebnisse erreichen zu können, ist die rasche Vermittlung betroffener Personen bzw. die Gewährleistung zur Bereitstellung von Unterstützungsmechanismen.
Kinder und Jugendliche verbringen den größten Teil ihrer Woche im Lebensraum Schule. Schulen haben somit einen erheblichen Einfluss auf das psychische und physische Wohlergehen eines Kindes. Die schulischen Erfahrungen der Kinder spiegeln sich im späteren Leben wider – ob in beruflicher Laufbahn oder im Umgang mit Mitmenschen. Deshalb ist es so wichtig, den Kindern präventive Maßnahmen an Schulen bereitzustellen und Entwicklung von Kompetenzen zur Krisenbewältigung zu ermöglichen.
Es muss gewährleistet sein, dass Kinder und Jugendliche im Falle einer psychischen Belastung oder Erkrankung schnelle und leistbare Behandlung erhalten. Dazu muss die Politik in die psychische Gesundheit investieren – mit „Gesund aus der Krise“ und „Fit4SCHOOL“ wurden Grundsteine gelegt, auf denen aufgebaut werden muss.
Zusammenfassend sei betont, dass die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen gefördert werden muss und entsprechende Behandlungsmöglichkeiten kostenfrei zugänglich sein müssen. Die beschriebenen Projekte tragen zudem zu einer Endtabuisierung und Endstigmatisierung von psychischen Gesundheitsfragen bei.
Eine gute psychische Entwicklung ist der Baustein für ein selbstbestimmtes und zufriedenes Leben. Krisen gehören zu den Herausforderungen des Lebens. Kinder und Jugendliche müssen in ihrer Resilienzentwicklung und Krisenbewältigungsfähigkeit unterstützt und im Falle professionell begleitet werden. Die persönliche Begegnung und der Beziehungsaufbau sind dabei wesentliche Faktoren.
Béa Pall ist Psychotherapeutin SF, Säuglings, Kinder und Jugendlichenpsychotherapeutin, Leitung des Projektes fit4SCHOOL und SKJ Fachreferates im ÖBVP und Präsidiumsmitglied im ÖBVP.
Der Artikel wurde ausgearbeitet in Kooperation mit Adina Birkner MA.