Resilienz, Selbstwert, Selbstwirksamkeit und Spiritualität - wie hängen sie zusammen und warum tragen sie zu einem stabilen und widerstandsfähigen Heranwachsen bei? Und welche Rolle können Religion und Gott in dieser herausfordernden Lebensphase einnehmen?
Prof. Dr. Martin Rötting ist Professor für Religious Studies an der Paris-Lodron-Universität in Salzburg und gibt einen ausführlichen Überblick zum Thema Spiritualität. Ebenso wird der praktische Aspekt davon beleuchtet, der mit einer persönlichen Krise beginnt und hoffentlich das Ergebnis einer "Lebenswegnavigation" mit sich bringt.
Episode #14: Jetzt auch auf Spotify, Apple Podcast, Amazon Music & Co anhören
Spätestens seit der Corona-Krise und den vielfach damit verbundenen psychischen Belastungen für Menschen aller Altersgruppen ist Resilienz ein vielzitiertes Wort. Resilienz (engl. resilience) bedeutet im ursprünglichen Sinne „Spannkraft, Widerstandsfähigkeit und Elastizität“[1] und meint die Fähigkeit, Herausforderungen zu bewältigen und nicht, durch eine Krisensituation zu einer gebrochenen, resignierenden Persönlichkeit zu werden oder psychisch und physisch krank zu werden. „Unter Resilienz wird die Fähigkeit von Menschen verstanden, Krisen im Lebenszyklus unter Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu meistern und als Anlass für Entwicklung zu nutzen“[2], d.h. gestärkt aus einer schwierigen Situation herauszugehen. Die Entwicklung einer inneren Stärke, die jeder Mensch braucht, um mit einer positiven Einstellung durch das Leben zu gehen und Krisen nicht als sogenannten Schicksalsschlag, Zerstörung des eigenen Lebensplans oder als Unglück zu sehen. Resilienz bedeutet vielmehr, Krisen und schwierige Lebenssituationen als einen weiteren Schritt in der persönlichen Entwicklung anzuerkennen und eine innere Stärke zu bilden, die mögliche weitere Krisensituationen „abfedern“ kann oder gar nicht erst entstehen lässt.
Krisen und belastende Situationen können verschiedenen Ursprungs sein. Beispielsweise chronische Armut, prekäre familiäre Verhältnisse (z.B. Trennung der Eltern), ein plötzlicher Tod einer nahen Bezugsperson oder die Erfahrung von (sexueller) Gewalt deuten auf einen sogenannten hohen Risikostatus hin. Erlebt eine Person traumatische Erlebnisse wie diese, besteht die Gefahr bzw. das Risiko, in eine existenzielle Abwärtsspirale zu gelangen. Psychische oder Psychosomatische Krankheitsbilder, Sucht und Abhängigkeit, kriminelles Verhalten oder die höchste Form der Aggression gegen sich selbst – der Suizid, können die Folge sein.
Junge Menschen sind ohnedies auf dem Weg zum Erwachsenwerden durch ihren natürlichen Entwicklungsweg herausgefordert. Die Pubertät bezeichnen nicht ohne Grund viele Menschen rückblickend als eine ihrer „kritischsten“ Zeiten. Der Körper, der enorm viel Kraft für sein Wachstum benötigt, die Reifung der Geschlechtsorgane und die damit einhergehende hormonelle Veränderung, die sich auch auf seelischer Ebene zeigt. Einerseits sind die jungen Heranwachsenden keine Kinder mehr, andererseits zählen sie auch noch nicht zu den Erwachsen. Auch rechtlich gesehen sind sie noch nicht volljährig und unterliegen in allen größeren Belangen der Entscheidung der Erziehungsberechtigten. Orientierung will erst gefunden werden. Eine Achterbahn der Gefühle zeigt sich mit der ersten Liebe, erst himmelhochjauchzend, und nicht selten zu Tode betrübt wenn sich diese Liebe nicht erfüllt oder enttäuscht wird. Freundschaften werden geknüpft und Zugehörigkeit, verbunden mit der eigenen Identität wird gesucht. Nebenher sind Jugendliche gefordert, Entscheidungen über ihre Ausbildung und Berufswahl zu treffen. Die Möglichkeiten an Schultypen und Ausbildungsformen sind schier unendlich. Eine große Chance für die junge Generation, aber auch die Gefahr der Überforderung, wenn eine Berufswahl getroffen werden soll. Ansprüche und Erwartungen der Eltern oder weiteren Verwandten können den Entscheidungsdruck erhöhen. Wenn Jugendliche keine Selbstwirksamkeit erleben, fühlen sie sich machtlos und entwickeln ein niedriges Selbstwertgefühl. Dies kann sie in eine Sinnkrise stürzen, in der sie sich wie Marionetten von äußeren Einflüssen fühlen. Sie werden zu angepassten, als „brav“ benannten Menschen oder sie suchen nach Fluchtmöglichkeiten aus dieser Situation, die verheerende Folgen haben können. Kinder und Jugendliche brauchen, um mutig schwierige Lebenssituationen meistern zu können, ein gesundes Selbstwertgefühl. Prof.in Dr.in Boglarka Hadinger, Psychotherapeutin und Logotherapeutin in Tübingen und Wien spricht von den fünf wichtigsten Stützpfeilern, die ein gesundes Selbstwertgefühl darstellen[3]: 1. Positive Beziehungen, 2. Kompetenz, 3. Orientierung (Ziele und Werte), 4. Ein guter Mensch zu sein, 5. Lebensfreude und Lebenslust.
Die virtuelle Welt hat ihren Anteil am Maße des Selbstwertgefühls der Jugendlichen. Influencer, die ein Leben vorzeigen, das in Allem perfekt zu sein scheint, lösen unbewusst Druck auf ihre Follower aus mit dem Gefühl, diesen Status (Reichtum, Schönheit, …) auch erreichen zu müssen, oder umgekehrt, den subjektiven Frust, diese propagierten Werte niemals erreichen zu können. Die Wahrnehmung des realen Alltags und der realen Welt verschiebt sich in eine Richtung, die von den eigenen Werten, den eigenen Kompetenzen und von der eigenen Begeisterung ablenkt.
In der Phase der Orientierungslosigkeit und Suche nach der eigenen Identität nennen Jugendliche die Erfahrung des „Funktionieren-Müssens“. Leistungsdruck und wenig Raum zur eigenen Entfaltung, Erwartungen anderer zu entsprechen und die eigenen Bedürfnisse hintanzustellen. Die Jugendzeit ist eine Zeit, in der die Jugendlichen im wahrsten Sinne des Wortes in die Welt hinausgehen sollen, erforschen, erfahren, erleben wollen. Genau das Gegenteil bewirkte die Corona-Pandemie mit den offiziellen Bestimmungen, wochenlang zu Hause zu bleiben und nur für die notwendigsten Erledigungen die Wohnung zu verlassen. Gerade für junge Menschen in prekären familiären Situationen stellten diese Auflagen eine katastrophale persönliche Situation dar.
Die Suizidrate bei Jugendlichen in den letzten Jahren ist schockierend hoch. Seit dem Jahr 2018 hat sich in Österreich die Suizidrate bei Kindern und Jugendlichen verdreifacht.[4] Im Schuljahr 2022/23 wurden im Schulbereich im Bundesland Salzburg mehr als zehn Suizide von Jugendlichen verzeichnet. Diese Zahlen sind höchst besorgniserregend und werfen viele Fragen auf. Gesellschaft, Politik und Kirche sind gefragt, Stellung zu beziehen und aktiv für das Wohlergehen der jungen Generation zu sorgen.
Die Grundhaltung der Resilienzforschung richtet sich nicht nach den Ursachen, die Menschen krank machen, sondern nach den Faktoren, die zur Gesundheit beitragen. Im Mittelpunkt der Resilienzforschung steht „die positive, gesunde Entwicklung trotz andauerndem, hohen Risikostatus (wie chronische Armut, psychische Erkrankungen der Eltern usw.); die beständige Kompetenz unter akuten Stressbedingungen (wie z.B. Trennung/Scheidung der Eltern); sowie die positive bzw. schnelle Erholung von traumatischen Ereignissen (z.B. Trennung/Tod naher Bezugspersonen, sexueller Missbrauch)“[5]. Was macht also junge Menschen zu resilienten Persönlichkeiten, was treibt ihren „inneren Motor“ an, um in einer schwierigen und belastenden Situation nicht aufzugeben und im besten Fall positiv gestimmt und mit einer inneren Kraft die Krise zu bewältigen und nicht sich selbst aufzugeben?
Die Amerikanerinnen Emmy Werner und Ruth Smith begleiteten über Jahrzehnte hinweg auf der hawaiianischen Insel Kauai Menschen mit dem Geburtsjahrgang 1955. Dies ist die älteste und bekannteste Studie zur Untersuchung der Resilienz. 698 Menschen wurden über 40 Jahre hinweg auf ihre Lebens- und Gesundheitssituation beobachtet und untersucht. Ein Drittel dieser Menschen lebte in einer hohen Risikobelastung, z.B. in Armut, familiärer Disharmonie oder psychischer Erkrankung der Eltern. Wiederum ein Drittel dieser Risikogruppe erwiesen sich im Vergleich zu den anderen zwei Drittel als resilient, d.h. sie fanden eine erfüllende Arbeit, waren optimistischer Gesinnung, und wiesen weniger gesundheitliche Probleme und eine geringer Todesrate auf. Erstaunlich ist bei dieser Gruppe an Menschen, dass sie zumindest eine emotionale Bezugsperson hatten, einen stabilen Familienzusammenhalt erlebten und in ihrer Kindheit einen hohen Grad an Selbstwirksamkeit erfuhren. Diese protektiven Faktoren halfen den Kindern bzw. Erwachsenen, sich trotz schwieriger Umstände positiv zu entwickeln.[6]
Der wesentlichste Schutzfaktor, der am stärksten zu einer gelingenden, seelisch gesunden Entwicklung beiträgt und viele Risikofaktoren abpuffern kann, ist eine stabile, wertschätzende, emotional warme Beziehung zu einer (erwachsenen) Bezugsperson. In ihrer umfassenden Analyse der letzten fünfzig Jahre Resilienzforschung kommt Suniya Luthar (2006) zu dem Schluss: „Die erste große Botschaft ist: Resilienz beruht, grundlegend, auf Beziehungen“.[7]
Die christliche Religion spricht eine radikale Bejahung für das Leben zu. Dies zeigen zahlreiche biblische Texte, so z.B. Joh 10, 10 wenn Jesus sagt: “Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ oder Jesus selbst, der sich als das Leben, Weg und Wahrheit vorstellt (Vgl. Joh 14,6). Auch mit einer Vielzahl an Erzählungen des Scheiterns zeigt uns die Bibel Lösungswege, wieder aufzustehen.
Neben den biblischen Texten, die an sich als heil-sam und resilienzfördernd gelten, birgt das Christentum allumfassend zahlreiche Ausdrucksformen, Rituale und Angebote, die dazu beitragen können, den Menschen „heil“, also gesund zu machen bzw. gesund zu erhalten.
Die Erfahrung des Glaubens beginnt in der Familie. Die Eltern begleiten ihr Kind zur Taufe, durch deren Glaubensinhalte und Symbolik und nicht zuletzt durch das festliche Zusammenkommen der Großfamilie Gottes Kraft und Geist spürbar wird. Die Feste im Jahreskreis sind mit einer Menge an Ritualen verbunden. Sei es der Advent mit der Fülle an Symbolen und Symboliken, z.B. dem Adventskranz, der Krippe, den Raunächten oder die Fastenzeit und Ostern mit den verschiedenen Bräuchen im Alpenraum, Palmzweige zu binden oder Ratschen zu gehen oder die Pfingstzeit, die für Jugendliche durch das Sakrament der Firmung prägend ist. Rituale sind vertraute Zeichenhandlungen und geben Halt, Sicherheit und Struktur.
Mit dem Glauben einher geht die Spiritualität. Der Ausdruck des Glaubens – die Haltung und persönliche Beziehung zu Gott. Ein lebendiger Glaube lebt von einer lebendigen Beziehung zu Gott. Gebetsformen mit Freude und spiritueller Tiefe zu erleben, kann Jugendlichen starken Halt geben. Als Beispiel sei genannt, wie gemeinschaftsstiftend und stärkend ein lebendiger, von jugendgerechter Sprache und Musik geprägter Schulgottesdienst wirken kann. Gelebte Begeisterung, die ansteckend ist und die Frage nach dem Sinn nicht gestellt wird. Spiritualität drückt auch die Haltung und Beziehung zu Gott, aber auch zu meinem Umfeld, der Natur und zu mir selbst aus.
Kirchliche Jugendgruppen können positiv zur Resilienz bei Jugendlichen beitragen. Im Idealfall vermitteln die Gruppenleiter:innen ein positives Wertebild in Verbindung mit jugendgerechten – häufig erlebnispädagogischen Unternehmungen und Aktionen, die oft unvergesslich in positiver Erinnerung bleiben. Gruppenführende sind vorbildhafte Bezugspersonen, die für Jugendliche als „neutrale“ Personen gelten, im Vergleich zu den eigenen Eltern, von denen sie sich mehrheitlich in der Pubertät abnabeln wollen.
Religion bietet ein Feuerwerk an Kunst und Kultur. Beginnend bei sakralen Bauten, die zum Staunen bringen, bis hin zur Malerei und religiösen Musik, die immer darauf bedacht ist, eine Verbindung zwischen dem Menschen und dem Göttlichen herzustellen. Religiöse Kunst und Kultur sind nicht per se ansprechend für Jugendliche, dennoch deuten sie immer auf das größere Ganze unseres Lebens und unserer Welt hin – auf das Göttliche, das letztendlich in jeder und jedem von uns liegt.
Studien belegen, dass Menschen, die an einen gütigen Gott oder an eine andere positive Kraft glauben, leichter Lebenskrisen bewältigen und weniger anfällig für stressbedingte und psychosomatische Krankheiten sind. Sie haben mehr Vertrauen auf einen Heilungsprozess im Krankheitsfall und konsumieren allgemein weniger Alkohol und Drogen als Nicht-Gläubige. Auch Tod und Sterben werden leichter akzeptiert und weniger angstvoll wahrgenommen.[8] Insofern kann sich Religion unterstützend auf Jugendliche auswirken:
Jugendliche, die sich religiös engagieren, sehen häufiger den Sinn in ihrem Leben als ihre nichtreligiösen Altersgenossinnen und -genossen. Ihr Sozialverhalten ist im Vergleich der beiden Gruppen ausgeprägter, das Engagement für andere gehört selbstverständlicher zu ihrem Leben dazu. Sie werden weniger häufig süchtig und straffällig.[9]
Soll Religion und Religionsausübung gesundheitsfördernd wirken, ist das Prinzip der Freiwilligkeit unumgänglich. Ebenso bedarf es einer liebevollen und warmherzigen Vermittlung durch einen oder mehrere Menschen, die ihren Glauben authentisch leben und aus genau diesem Glauben ihre Lebenskraft schöpfen und jungen Menschen Raum zur Entfaltung geben, zu emphatischen und resilienten Persönlichkeiten zu werden.
Prayer Spaces in Schools (PSIS)
Interaktive Gebetsstationen für Jugendliche ab der 8. Schulstufe
Prayer Spaces in Schools haben ihren Ursprung in England und sind interaktive Gebetsstationen für Jugendliche ab der 8. Schulstufe. Auf kreative und einfühlsame Weise werden die Jugendlichen mit sich selbst, ihrer Umwelt und mit Gott in Verbindung gebracht. Ein Projekt, das in Salzburg unter dem Namen ALIVE! seit 2018 etwa 30000 Jugendliche erreicht hat.
Wege zu meinen inneren Stärken – Mental. Emotional. Wertvoll.
glüxkinder begleitet Heranwachsende und Erwachsene darin von Innen heraus stark zu werden – „Haben Sie als Kind, Jugendlicher gelernt mutig ins Leben zu gehen? Sich selbst ein guter Freund zu sein? Auf die Signale des eigenen Körpers zu hören? Das eigene Denken und Fühlen wahrzunehmen und in konstruktive Richtung zu lenken? Gute Beziehungen zu führen? Die eigenen inneren Kräfte zu nutzen um die Zukunft bestmöglich gestalten und meistern zu können? Wir sind ein Wunderwerk - körperlich, seelisch und geistig. Und mit dem Wissen und dem Erfahren der inneren Weisheit und Stärke können wir als Mensch mutig, vertrauensvoll und stark ins Leben wachsen. Und so dem Dasein Sinn geben und Verbundenheit mit der Gemeinschaft vertiefen.“
YOCO – Young Community Salzburg
„Stress di net“ – Umgang mit Stress und Situationen, die dich unter Druck setzen
(Workshop für Schulklassen)
Was sind Stressfaktoren? Was ist mir in meinem Leben besonders wichtig? Woraus schöpfe ich Kraft und was stärkt mich?
Fokus Mentale Gesundheit
Angebote zur Stärkung der psychosozialen Gesundheit für Schüler:innen und Eltern in Schulen.
Rat für junge Leute
Telefonseelsorge & Chat für Kids (6-11 Jahre) und Teens (12-20 Jahre)
Mag.a Christa Rohrer-Fuchsberger ist Religionspädagogin, Referentin f. Katholische Privatschulen und Schulpastoral, Musikerin, Lebens- und Sozialberaterin i.A.
[1] Reinders, Angela, Kinder brauchen Gott. Wie man Kindern Vertrauen in das Leben schenkt. München 2001, S. 12.
[4] Vgl. Fröhlich – Gildhoff – Rönnau – Böse, Resilienz, 5. Auflage, München 2019, S. 16.
[5] Wustmann 2016, 19 in: Fröhlich – Gildhoff – Rönnau – Böse, Resilienz, 5. Auflage, München 2019,11 f.
[6] Pötsch Magdalena, Psychische Gesundheit. Suizidalität bei Kindern und Jugendlichen in Österreich verdreifacht. www.derstandard.at, 8.9.2023, abgerufen am 30.9.2023.
[7]Vgl. Hadinger, Boglarka, MUT zum Leben machen. Selbstwertgefühl und Persönlichkeit von Kindern und Jugendlichen stärken. Tübingen 2022, S. 13.