Anna Pribil ist Umweltpsychologin, Eco-Consultant und Mitglied der psychologists and psychotherapists for future. In Folge #23 spricht sie mit Host Sophie Mayr darüber, wie Klima-Emotionen Raum gegeben werden kann. Sie erklärt, wieso Klima-Angst keine Krankheit ist, was Kinder und Jugendliche mit Klima-Angst brauchen und wie gemeinsam Selbstwirksamkeitserfahrungen gestärkt werden können.
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Ein Hitzerekord folgt dem nächsten – und das mit sichtbaren Auswirkungen auf Natur, Mensch und Tier. Kinder werden auf Grund ihrer Lebenserwartung eine enorme Zunahme an Hitzeperioden erleben: bis 2050, so wird prognostiziert, werden sich die Hitzetage mit mindestens 30 Grad verdoppeln. (APPC 2018, 18)
Hitzewellen sind neben Hochwassern, schlechter Luftqualität oder Trockenheit besonders sicht- und spürbare Effekte der Klimakrise in Österreich. Zu den Risikogruppen für negative gesundheitliche Effekte von Hitzewellen gehören insbesondere ältere, chronisch kranke (z.B. mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen) Personen sowie Menschen mit Pflege- und Betreuungsbedarf. Aber auch materielle und soziale Deprivation bzw. absolute Armut (APCC 2018, 285), ein niedriger sozioökonomischer Status (SES) oder auch körperliche Arbeit und/oder Arbeit im Freien führen zu erhöhter Belastung. (vgl. BMSGPK 2021, 19) Weitere Gründe für die sog. „sozioökonomische Vulnerabilität“ sind die dichtere Bebauung bestimmter Stadtviertel und die schlechteren Wohnbedingungen. (ebenda)
Kinder sind meist nicht unter den ersten Gruppen, an die Menschen denken, wenn es um gesundheitliche Belastungen während Hitzewellen geht - und wenn, dann sind es vor allem Säuglinge und Kleinkinder.
Zahlreiche Studien weisen darauf hin, dass während der heißen Sommermonate oder insbesondere während Hitzewellen ein verstärktes Aufkommen von Kindern in Krankenhäusern und Notfallambulanzen besteht. (Böse-O’Reilly et al. 2023, 126, Bernstein et al. 2022) Die Effekte von Hitzewellen auf Kindersterblichkeit (Säuglingssterblichkeit, SIDS etc.) sind insbesondere in Ländern des Globalen Südens untersucht worden (z. B. Egondi et al. 2012, Azongo et al. 2012), aber auch für Länder des Globalen Nordens gibt es Studien dazu. (Auger et al. 2015; Helldén et al. 2021) Zu den direkten Erkrankungen während Hitzewellen bei Kindern gehören Nierenschädigungen durch Dehydration sowie Atemwegs- und Infektionskrankheiten. (Helldén et al. 2021) Darüber hinaus werden Schwäche, Schwindel, Übelkeit oder Muskelkrämpfe als klinische Symptome starker körperlicher Belastungen durch Hitze beschrieben. (Böse-O’Reilly et al. 2023) Auch erhöhte Unfallgefahr während der Hitzewellen konnte nachgewiesen werden. (ebenda) Aber auch die psychische Gesundheit kann durch die Folgen der Klimakrise beeinträchtigt werden, z.B. durch Erschöpfungszustände, Stress oder depressive Verstimmungen (Sanson/Bellemo 2021), wobei auf die bereits belastete Psyche von Kindern und Jugendlichen durch die Vielfachkrisen unserer Zeit verwiesen sei. (Culen 2022)
In Österreich lebte 2023 jedes 5. Kind von Armut oder Ausgrenzung bedroht. (Statistik Austria) Das entspricht mehr als 375.000 Kindern und Jugendlichen – 88.000 von ihnen leben unter den Bedingungen erheblicher materieller und sozialer Deprivation. Das bedeutet, dass für sie viele Dinge, die für die meisten als “normal” gelten, nicht finanzierbar sind. Zu diesen gehören etwa eine ausgewogene Ernährung (jeden zweiten Tag Fisch, Fleisch oder eine vergleichbare vegetarische Alternative), Miete und andere Rechnungen sowie unerwartete Summen bezahlen zu können, ein zweites Paar Schuhe zu besitzen – oder im Falle von Kindern eben auch, dass sie ihren Geburtstag feiern können, hin und wieder mit Kosten verbundenen Freizeitaktivitäten nachgehen oder zum kostenpflichtigen Schulausflug mitkommen können. (Statistik Austria 2023) Ein Aufwachsen in Armut kann zu Ungleichheiten in allen Lebensbereichen führen – auch im Bereich der Gesundheit.
Wer dauerhaft in manifester Armut lebt, hat eine deutlich reduzierte Lebenserwartung. Der Zusammenhang zwischen sozioökonomischer Situation und Gesundheit betrifft nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder und Jugendliche. (vgl. exemplarisch Lampert et al. 2013; Volkshilfe Österreich 2021) Einen auffälligen Zusammenhang gibt es auch zwischen niedrigem Familieneinkommen und Unfällen/Verletzungen, Mund-/Zahngesundheit oder geringerem psychischem Wohlbefinden. Auch wirkt sich der sozioökonomische Status (SES) von Eltern auf die motorische, sprachliche oder die kognitive Entwicklung aus. (vgl. u. a. Lampert et al. 2005: 98; Kuntz et al. 2016) Eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für einen schlechteren Gesundheitszustand macht armutsbetroffene Kinder damit auch vulnerabler für die gesundheitlichen Folgen der Klimakrise. Ein Beispiel dafür ist etwa der Bereich der Atemwegserkrankungen: Seebauer et al. betonen, dass betroffene Kinder besonders von Hitzewellen gefährdet seien – hier gibt es etwa bei Asthma bronchiale einen Einfluss des SES der Eltern auf die Prävalenz, die im Zusammenhang mit feuchten Wohnungen im Winter zu sehen sind. Kinder aus Haushalten mit hohem SES haben die niedrigsten Asthmaprävalenzen. (Thamm et al. 2018, 6)
Weitere Einsichten in die Belastungen armutsbetroffener Kinder konnte die Studie der Gesundheit Österreich GmbH gemeinsam mit der Volkshilfe finanziert durch das Startclim Programm bringen. Durchgeführt wurde eine Befragung von 99 armutsbetroffenen Eltern zu Hitzefolgen, Bewältigungsstrategien und Bedarfen ihrer insgesamt 190 Kinder im Alter unter zehn Jahren. (Aigner et al. 2023b)
Insbesondere die Wohnbedingungen wiegen schwer: 45 Prozent der Befragten halten sich bei Hitze nur ungern in der Wohnung auf (30 Prozent ungern und 15 Prozent eher ungern). Um ihre Kinder zu schützen, versuchen die Familien vieles: Ventilatoren, Abdunkeln oder häufiges Duschen. Klimageräte werden meist aus Kostengründen nicht eingesetzt. Weiters zieht es Familien ins Freie, insbesondere in Parks und Spielplätze, um der Hitze in der Wohnung zu entfliehen. Einige nutzen klimatisierte öffentliche Gebäude. Auch Seen und Freibäder werden nach Möglichkeit aufgesucht. (Aigner et al. 2023b)
Aber auch im öffentlichen Raum und der Nutzung öffentlicher Infrastruktur gibt es Hürden: allgemein gab fast die Hälfte (45 Prozent) der Haushalte an, dass sie Aktivitäten wie einen Besuch im Schwimmbad oder einen Ausflug an einen See an besonders heißen Tagen zwar gerne machen würden, dies aber nicht können. Eltern führen hier die hohen Kosten ins Feld. Gemeint sind damit nicht nur Eintrittspreise selbst, sondern auch Zusatzausgaben, wie ein Eis im Schwimmbad, Öffi-Tickets oder ein Getränk. (Aigner et al. 2023b)
Die gesundheitlichen Auswirkungen der Hitze, insbesondere im Wohnraum, auf Kinder sind alarmierend. Rund ein Drittel der Befragten gab für die eigenen Kinder eine sehr starke oder starke Belastung durch Hitze an. Bei der Frage nach spezifischen gesundheitlichen Veränderungen nahmen die Eltern zahlreiche und grundlegende Veränderungen wahr: Mehr als 6 von 10 Kindern schlafen schlechter bzw. sind unruhiger und weinen mehr. Mehr als jedes zweite Kind hat geringere Motivation, sich zu bewegen, ebenso viele zeigen mehr aggressives Verhalten. Für fast jedes zweite Kind wurden körperliche Symptome wie Übelkeit, Ausschlag, Kopfschmerzen und Schwindel bzw. ein Rückzug der Kinder beschrieben. (Aigner et al. 2023b)
Nicht nur während Hitzewellen belastet die Klimakrise junge Menschen. Klimaangst ist unter jungen Menschen weltweit ein Phänomen: eine Erhebung mit 10.000 Menschen aus verschiedenen Ländern im Alter von 16 bis 25 Jahren zeigt: mehr als 8 von 10 Befragten machen sich zumindest moderat Sorgen über die Klimakrise. Fast 6 von 10 sagen, sie sind sogar sehr oder extrem besorgt. Jede:r zweite Befragte spricht auch von negativen Gefühlen wie Trauer, Angst, Wut und Hilflosigkeit in diesem Zusammenhang. Nicht ganz die Hälfte der jungen Respondent:innen bejaht, dass dies auch den Alltag belastet. (Hickman et al. 2021) Wie die Ö3-Jugendstudie 2024 zeigt, sorgen sich auch in Österreich Jugendliche und junge Erwachsene um die Klimakrise: 79 Prozent sehen dringenden Handlungsbedarf beim Klimaschutz. (ORF/Foresight/Solution Provider Agentur Webact 2024)
Die Frage, ob ein intakter Planet auch in der Zukunft zu den Kinderrechten gehört, ist viel thematisiert. Im Sommer 2022 wurde das Recht auf eine gesunde und nachhaltige Umwelt von der UN-Generalversammlung als eines der Menschenrechte anerkannt. Es ist also von zentraler Bedeutung, Kinder und Jugendliche mit ihren Sorgen um einen lebenswerten Planeten Ernst zu nehmen und auch in Entscheidungen zu involvieren. Dort, wo sich Kinder und Jugendliche politisch engagieren, treffen sie aber zum Teil auf adultische Abwertung ihres Protests. (Meade 2020)
Um Kindern und Jugendlichen unabhängig von den finanziellen Ressourcen darin zu stärken, ihr Recht auf eine Meinung, gerade in klimapolitischen Fragen umzusetzen, können sowohl die Soziale Arbeit mit Kindern und Jugendlichen als auch Kinder- und Jugendrechte-Organisationen einen essentiellen Beitrag leisten. Zum Beispiel, wenn inhaltlicher, kindgerechter Input organisiert wird und Ort und Zeit bereitgestellt werden, damit Kinder und Jugendliche ihre Positionen und Reflexionen austauschen und Forderungen aufstellen können. Weiters können kinder- und jugendpolitische Akteur:innen dabei unterstützen, diese Forderungen an die Politik zu übermitteln und dazu beitragen, diese in Erinnerung zu rufen und Entscheidungsträger:innen verantwortlich zu halten für ihre Umsetzung.
Das ist auch notwendig angesichts der massiven Herausforderungen im Kampf gegen die Klimakrise. Neben einem entschlossenen Kampf gegen die Ursachen der Klimakrise, sind besonders vulnerable Gruppen auf Unterstützung in der Anpassung, z.B. durch den Ausbau öffentlicher Cooling Center oder gekühlten öffentlichen Einrichtungen, die Verbesserung der Wohnbedingungen durch Sanierungen angewiesen. Darüber hinaus braucht es, nicht nur, aber insbesondere für Kinder mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen, die Wiederaufrichtung des öffentlichen Gesundheitssystems – darunter auch mehr Kassentherapieplätze und Kassenkinderärzt:innen.
Armutsbetroffene Familien können bei der Volkshilfe Österreich finanzielle Hilfe durch drei Fonds “Lernen.Möglich.Machen”, “Kinder.Gesundheit.Sichern” und “Mit.Chancen.Wachsen” sowie das Projekt “Mut schaffen” erhalten. Außerdem gibt es in ganz Österreich spezialisierte Sozialarbeiter:innen, die Unterstützung bieten. Mehr Informationen gibt es hier: https://www.kinderarmut-abschaffen.at/hilfe/
Ähnliche Unterstützungsangebote haben alle großen Sozialorganisationen, z.B. der Samariterbund (https://wien.samariterbund.net/soziales/sozialberatung/), die Caritas (https://www.caritas-wien.at/hilfe-angebote/beratung-nothilfe/soziale-finanzielle-notlagen/sozialberatung) oder auch die Diakonie (https://www.diakonie.at/unsere-themen/armut-und-soziale-krisen/sozialberatung-unterstuetzung-in-sozialen-krisen)
Eine erste kostenlose und anonyme Anlaufstelle für Kinder, Jugendliche und Bezugspersonen, bei der Sorgen und alle anderen Themen, die Kinder und Jugendliche betreffen, besprochen werden können, ist Rat auf Draht. Ein offenes Ohr und viele weiterführende Informationen gibt es rund um die Uhr unter der Nummer 147 (ohne Vorwahl).
Aigner, E., Lichtenberger, H., Brugger, K., & Schmidt, A. (2023b). Armutsgefährdete Kinder in der Klimakrise: Betroffene, Anpassung und soziale Infrastruktur. Endbericht von StartClim2022.A. In StartClim2022: Schlüsselmaßnahmen, Messbarkeit und Notfallszenarien. Wien: BMK, BMWFW, Klima- und Energiefonds, Land Oberösterreich.
Aigner, E., Lichtenberger, H., Ranftler, J., & Schmeißl, S. (2023a). „Es ist wie in einer Sauna“: Die Betroffenheit armutsbetroffener Kinder und ihrer Familie durch die Klimakrise und sozialpolitische Antworten. In Soziales Kapital, Band 27, S. 79–99.
APCC. (2018). Österreichischer Special Report Gesundheit, Demographie und Klimawandel. Wien: Verlag der OAW.
Auger, N., D., F. W., Audrey, S., & Tom, K. (2015). Ambient Heat and Sudden Infant Death: A Case-Crossover Study Spanning 30 Years in Montreal, Canada. Environmental Health Perspectives, 123(7), 712–716.
Azongo, D. K., Awine, T., Wak, G., Binka, F. N., & Oduro, A. R. (2012). A time series analysis of weather variability and all-cause mortality in the Kasena-Nankana Districts of Northern Ghana, 1995-2010. Global Health Action, 5, 22.
Bernstein, A. S., Sun, S., Weinberger, K. R., Spangler, K. R., Sheffield, P. E., & Wellenius, G. A. (n.d.). Warm Season and Emergency Department Visits to U.S. Children’s Hospitals. Environmental Health Perspectives, 130(1), 017001.
BMSGPK. (2021). Soziale Folgen des Klimawandels in Österreich. Wien: BMSGPK.
Böse-O’Reilly, S., O’Reilly, F., & Roeßler, C. (2023). Hitzebelastung bei Kindern. In Monatsschrift Kinderheilkunde, 171(2), S. 124–129. https://doi.org/10.1007/s00112-022-01682-7
Culen, C. (2022). „Mir geht’s nicht gut … ist da jemand?“ Kinder, Jugendliche und Psyche. In M. Schenk & H. Wölfl (Hrsg.), Was Kindern jetzt gut tut. Gesundheit fördern in einer Welt im Umbruch (S. 31–44). Wien: Ampuls Verlag.
Helldén, D., Andersson, C., Nilsson, M., Ebi, K. L., Friberg, P., & Alfvén, T. (2021). Climate change and child health: a scoping review and an expanded conceptual framework. The Lancet Planetary Health, 5(3), e164–e175.
Hickman, C., et al. (2021). Climate anxiety in children and young people and their beliefs about government responses to climate change: a global survey. The Lancet Planetary Health, 5(12), e863–e873.
Kuntz, B., Rattay, P., Poethko-Müller, C., Thamm, R., Hölling, H., & Lampert, T. (2018). Soziale Unterschiede im Gesundheitszustand von Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Querschnittergebnisse aus KiGGS Welle 2. Journal of Health Monitoring, 3(3), 19–36.
Lampert, T., Hoebel, J., Kuntz, B., Müters, S., & Kroll, L. E. (2018). Messung des sozioökonomischen Status und des subjektiven sozialen Status in KiGGS Welle 2. In Journal of Health Monitoring, 3(1), 114–133.
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Sanson, A., & Bellemo, M. (2021). Children and youth in the climate crisis. BJPsych Bulletin, 45(4), 205–209.
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