Hannelore Mayer ist Kinder- und Jugendpastoralassistentin der Jungen Kirche Wien und arbeitet seit vielen Jahren mit Jugendlichen zum Buch der Bücher. In Episode #20 spricht sie mit Host Sophie Mayr über die Bedeutung der Bibel für Jugendliche heute und in welchen Bibelstellen sich Jugendliche wiederfinden können.
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Wenn man danach fragt, was die Bibel der Jugend von heute noch sagen kann, muss man als erstes auf die Adressaten, also die Jugendlichen selbst, mit ihren Fragen schauen. In weiterer Folge gilt es, das Bibelverständnis zu klären und mit welchen Methoden die Jugendlichen erreicht werden können. Nicht außer acht gelassen werden darf dabei, welche Voraussetzungen die Personen, die mit den Jugendlichen interagieren, mitbringen sollten. Wenn all diese Faktoren berücksichtigt werden, kann der Bibelarbeit mit Jugendlichen nichts mehr entgegenstehen.
Welche Themen betreffen Jugendliche besonders? Was sind ihre Fragen?
Besonders während der Pubertät geht es um Selbstwert und Identitätsfindung, Erlangen von Selbständigkeit und Loslösung von den Eltern und anderen Bezugspersonen, dafür wachsende Orientierung an Peers, bis die eigene Persönlichkeit gefunden und gefestigt ist. Freunde und Familie, Sexualität und erste Partnerschaften sowie der eigene Körper sind Thema. Jugendliche bewegen sich in den social media, haben eine gruppeneigene Jugendsprache und definieren sich über ihr Aussehen.
Dazu kommen Themen rund um Schule, Lehre, Studien- und Berufswahl, verbunden damit, wählen zu dürfen – aber auch zu müssen. Es geht um Zukunftsängste und Zukunftsaussichten, verstärkt durch Problematiken rund um Klimakrise und Artensterben, die Sehnsucht nach Frieden, diverse politische Ereignisse und Gewalt – global, oft aber auch im eigenen Umfeld. Jugendliche können Opfer oder Täter von Mobbing und Gewalt sein.
Es ist eine Lebensphase, in der Menschen ihren Kinderglauben verlieren und entweder ihren eigenen Glauben entdecken oder sich dafür entscheiden, religionslos zu leben. Neben die generelle Frage „Religion ja oder nein“ tritt noch die spezifische Frage: „wenn Religion, dann welche?“ Bei dieser Entscheidung spielt die Religion der Herkunftsfamilie eine Rolle, aber auch die der Peers. Konflikte zwischen den Religionen und andere Faktoren können auch einen Einfluss haben. Die Frage „Wofür bin ich da?“ stellt sich vermutlich jede junge Person mindestens einmal.
In dieser heiklen Phase ist es wichtig, dass die Jugendlichen Unterstützung darin erhalten, mit den verschiedenen Einflüssen umzugehen und sich zu orientieren. Dabei geht es immer um ein Angebot, das freiwillig angenommen werden kann oder eben nicht, damit sie wirklich zu einer eigenen Entscheidung für ihr Leben kommen können. Die Vielfalt der Zugänge muss respektiert und wertgeschätzt werden, solange niemand dabei zu Schaden kommt.
Die Bibel ist das Glaubens- und Lebensbuch von Christinnen und Christen weltweit. In der katholischen Kirche besteht sie aus 46 alttestamentlichen und 27 neutestamentlichen Büchern; je nach Kanon (das kommt aus dem Ägyptischen und heißt Schilfrohr/Maßstab) kann die Anzahl der ins Gesamt aufgenommenen Bücher je nach Kirche leicht variieren. Das Alte bzw. Erste Testament hat seine Grundlage in der jüdischen Bibel und ist ursprünglich althebräisch (und zum Teil aramäisch und altgriechisch) verfasst, das Neue oder Zweite Testament wurde gänzlich auf Griechisch geschrieben (das sogenannte „Koiné, ein weitverbreitetes vereinfachtes Griechisch der antiken Welt). Wir haben es deshalb normalerweise mit Übersetzungen zu tun, das muss immer mitbedacht werden.
Oft wird die Bibel als uraltes, verstaubtes Buch angesehen, von unserer Zeit durch einen „garstigen, breiten Graben“ (G. E. Lessing) getrennt. Hier helfen Bibelforschung, Exegese und Übersetzungsarbeit in die jeweilige Zeit und Kultur hinein. Gerne wird sie mit einer Bibliothek verglichen, ein besseres Bild wäre das eines Ökosystems, z.B. eines Waldes, weil die Schriften nicht unabhängig voneinander entstanden und dann zusammengefügt worden sind, sondern sich in ständigem Bezug zueinander entwickelt haben und sich aufeinander beziehen.[1]
Die Bibel ist kein Frage- und Antwortbuch, wie das der Katechismus sein möchte. Sie gibt keine eindeutigen Antworten, sondern ist durch ihre Vielstimmigkeit charakterisiert. Es ist wichtig, sie in ihrem Gesamtzusammenhang zu lesen und nicht einzelne Stellen isoliert zu sehen. Das II. Vatikanische Konzil hält fest, dass es in der Bibel nicht allein um Wissen geht, sondern vor allem um die Gemeinschaft mit Gott.[2]
Gottes Wort (nicht „Worte“!) in Menschenwort bedeutet, dass „Gott in der Heiligen Schrift durch Menschen nach Menschenart gesprochen hat“ – daher muss erforscht werden, was die biblischen Schriftsteller, inspiriert vom Heiligen Geist, sagen wollten.[3] Die Texte sind „um unseres Heiles willen“ aufgezeichnet worden.[4] Bei der Auslegung zu beachten sind die unterschiedlichen Textgattungen der Bibel – es ist gut zu wissen, ob man z.B. ein Gebet, ein Gleichnis, einen Geschichtstext (der immer auch theologisch aufgeladen ist), einen Gesetzestext oder eine Lehrerzählung o.a. vor sich hat.
Die Entstehung der Heiligen Schrift ist nicht von der Geschichte Israels zu trennen. Geschichtliche Erfahrungen, die als Gotteserfahrungen gedeutet wurden, wurden zuerst mündlich weitererzählt, später verschriftlicht und teilweise neu angeordnet. Das Alte Testament ist die Bibel Jesu – er bezieht sich auf sie, lebt daraus und erfüllt sie. Das Neue Testament ist der Versuch, das Christusgeschehen zu deuten. Die neutestamentlichen Autoren zitieren aus dem Alten Testament. Es ist in sich abgeschlossen, und viele Grundvollzüge des Menschseins sind darin enthalten. Der Kirchenvater Hieronymus betont: „Die Schrift (=AT) nicht kennen heißt Christus nicht kennen“.
Da die Bibel grundlegende menschliche (Glaubens-)Erfahrungen enthält, ist sie zeitlos bedeutsam. Allerdings ist es gut, zu wissen, wo man die Stellen findet, die für Jugendliche inspirierend, ermutigend oder herausfordernd sind.
Die Bibel sagt jedem Menschen grundlegend zu, dass er von Gott gewollt und geliebt ist, ganz unabhängig davon was er zu leisten vermag. Es geht in ihr um Beziehungen, Freundschaften und Liebe, aber auch um Feindschaft, um Verantwortung und gerechtes Handeln. Sie ermutigt dazu, sich auf Gott einzulassen und ihm zu vertrauen, lässt aber auch Hadern, Zweifel und Klage zu. Je nach Lebenssituation bietet sie verschiedene Identifikationsfiguren an.
Mit der Bibel unterwegs zu sein bedeutet, keine heißen Eisen auszusparen. Es geht nicht um eine Nabelschau, ein spirituelles Wohlfühlprogramm (obwohl das auch mal sein darf), sondern sich von ihr herausfordern zu lassen, sich an ihr zu reiben. Gerade das Thema Gerechtigkeit liegt Jugendlichen oft am Herzen, die biblischen Texte setzen sich vehement dafür ein. Auf den Philippinen heißt Bibelarbeit in erster Linie, danach zu fragen, was zu tun ist.
Im Sinne der Rezeptionsästhetik fügen sich die alten Texte ins heutige Leben ein und gewinnen an Bedeutung dazu, wenn sie gelesen und (schon allein dadurch) ausgelegt werden. Das wusste schon Gregor der Große: „Wie viel ein jeder Heilige aus der heiligen Schrift gewinnt, ebenso viel gewinnt diese heilige Schrift bei ihm selbst. ... Die göttlichen Worte wachsen mit den Lesenden [...], denn jeder begreift sie umso tiefer, je mehr er sich in sie vertieft.“[5]
Damit das alles gelingt, bedarf es einiger Voraussetzungen:
Eigener Zugang
Die eigene Begeisterung für die Bibel ist natürlich notwendig, aber nicht ausreichend. Es braucht auch die Liebe zu den Jugendlichen, Verständnis und Unvoreingenommenheit ihnen gegenüber. Man sollte nichts „biegen“ wollen, sondern es als Angebot an sie verstehen.
Um biblische Schätze heben zu können, sollte man selber bibelfest werden – auch in einem rein technischen Sinn (wie finde ich eine Bibelstelle…). Dieser Vorgang ist nie abgeschlossen, sondern wird mit der Zeit immer spannender. Dazu helfen im Idealfall eine theologische Ausbildung (Theologischer Kurs, Studium), aber auch andere Hilfsmittel (z.B. die Einführungen vor den biblischen Büchern in der Einheitsübersetzung 2016, die Anmerkungen in der „Einblickbibel“, die Homepages der Katholischen Bibelwerke, der „Crashkurs AT/NT“ auf YouTube von Dr. Elisabeth Birnbaum u.v.a.). Auch Lectio divina kann ein guter Zugang sein.[6]
Voraussetzungen bei den Jugendlichen
Die Jugendlichen selbst müssen keine Voraussetzungen mitbringen, man sollte aber darauf achten, wie alt sie sind, welchem Milieu sie angehören (Sinusstudie!), welche Vorerfahrungen und Bildung sie mitbringen, um sie nicht zu unter- oder überfordern. Man muss sie ernst nehmen und an ihr Leben anknüpfen.
Im Prinzip reicht Menschsein als Voraussetzung für die Beschäftigung mit der Bibel, weil in ihr „alles enthalten ist“ („Meinen die Rabbiner es ernst, wenn sie sagen, dass wir ‚die Thora hin- und herwenden sollen, weil sie alles enthält‘? Alles? Auch dich und mich?“ fragt Peter Pitzele, der Erfinder des Bibliologs.).[7]
Es gibt eine Unzahl an Bibelübersetzungen und -ausgaben – für die Arbeit mit jungen Menschen eignen sich im deutschsprachigen Bereich unter anderem (!) die Basis Bibel, die Volxbibel, die Gute Nachricht, die Bibel in gerechter Sprache, die Bibel in leichter Sprache oder von der Einheitsübersetzung 2016 die Einblickbibel und Ausgaben mit Sonderseiten für junge Leute. Im Bibleserver kann man verschiedene Übersetzungen nebeneinander stellen und vergleichen.
Da die Bibel in einer Erzähl- und Glaubensgemeinschaft gewachsen ist, ist es sinnvoll, sie in einer solchen auszulegen. Das schließt eigenes Bibellesen für sich allein nicht aus, sondern ergänzt es. In der Apostelgeschichte lesen wir davon, wie Philippus dem Jesaja-lesenden Äthiopier hilft, den Text zu verstehen – was zu einer existenziellen Erfahrung desselben führt (Apg 8,26‑40).
Das Ziel jeder guten Methode muss sein, dass Bibel berührt – zuerst einen selbst und in Folge die jeweiligen Adressaten. Hier nun ein kleiner Aufriss, womit ich selbst gute Erfahrungen gemacht habe – im Fundus der Katholischen Jugend und auch anderswo gibt es noch viel mehr Ideen. Den Methoden gemeinsam ist, dass sie meist erfahrungsorientiert sind, Dialog ermöglicht wird und die Menschen angeregt werden, für sie wichtige Inhalte selber zu erschließen.
Die wohl älteste und einfachste Methode ist es, Bibelgeschichten zu erzählen – so wurden sie ursprünglich weitergegeben. In der Biblischen Erzählkunst lernt man, sich bestimmte Techniken anzueignen, um diese in Vergessenheit geratene Kunst erfolgreich einzusetzen.[8]
Einen besonderen Zugang bietet der Bibliolog. Er steht in der jüdischen Tradition der Bibelauslegung mit der Grundannahme, dass die biblischen Texte je nach Rezipient*innen auf ihre eigene Weise zu sprechen beginnen, dabei wird über den „Zaun“ des Textes nicht hinweggegangen. Achtung – auch wenn Bibliolog auf die Teilnehmenden sehr einfach wirkt, sollte er nicht ohne Ausbildung durch zertifizierte Trainer*innen durchgeführt werden, da es auf viele Dinge zu achten gilt![9]
Einen ähnlichen Zugang bieten das Bibliodrama oder einzelne bibliodramatische Elemente. Hierbei wird der Text zum Ausgangspunkt genommen, dann aber darüber hinaus weitergespielt. Er wird auch körperlich, mit allen Sinnen erschlossen. Meist nimmt das mehr Zeit in Anspruch als ein Bibliolog.[10]
Vom Bibelteilen gibt es verschiedene Varianten.[11] Ein wichtiger Schritt, der in unseren Breiten leider oft weggelassen wird, ist der letzte, in dem gefragt wird, welche Aktionen den Erkenntnissen aus der Beschäftigung mit dem Text folgen sollten. (Nicht nur) Jugendliche möchten ins Tun kommen – und die biblischen Texte fordern dazu heraus. Eine nicht so bekannte, aber sehr effektive und mit jungen Menschen gut durchzuführende Variante ist das Schwärzen: Auf Textkopien werden von den Teilnehmenden mit dicken Filzstiften all jene Wörter weggestrichen, die nicht so relevant sind – stehen bleiben darf nur eine geringe Anzahl, z.B. drei Wörter. Welche das jeweils sind, darüber wird sich dann ausgetauscht.
Biblische Inhalte können auf vielerlei Weisen spielerisch erschlossen werden – Anregungen dazu gibt es in den Spielesammlungen der Katholischen Jugend, im Internet etc. Ganz einfach ist es z.B., Bibelverse zu verstecken und suchen zu lassen. Fährt man auf ein Wochenende oder ein längeres Lager weg, kann alles in einen größeren Spielzusammenhang gestellt werden.
Eine besondere Challenge ist „Bible in One Year“, wo die gesamte Bibel anhand eines Bibelleseplans gelesen wird (es gibt verschiedene Konzepte dafür); sie von vorne nach hinten durchzulesen, ist hingegen meist nicht so empfehlenswert, da viele dann bald aufgeben.
Die interaktive Bibelausstellung[12], die vom Bibelwerk Linz entwickelt wurde, kann man zu sich vor Ort holen – am besten, mehrere Pfarren tun sich dafür zusammen. Alternativ kann man zur Bibelwelt[13] nach Salzburg fahren – sie bietet für jedes Alter und jede biblische Vorbildung etwas und stellt periodisch Sonderausstellungen zusammen.
Da die biblischen Lesungen einen festen Platz in der Liturgie haben, bietet es sich an, mit den Jugendlichen gemeinsam einen Gottesdienst zu gestalten. Dazu kann auf den Behelf „Bibelsonntag“[14] von Dr. Roland Schwarz zurückgegriffen werden oder auf jede andere Methode, die den Text erschließt.
[7] U. Pohl-Patalong, Bibliolog. 1: Grundformen. Suttgart 3. Aufl2013, 8.
[10] Was ist Bibliodrama.
[11] Bibelteilen.
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Katholisches Bildungswerk Wien
Österreichische Bibelgesellschaft
perikopen.de - exegetisch-theologischer Kommentar der Evangelientexte
Rund um die Bibel | Website des Österreichischen Katholischen Bibelwerks
THEOLOGISCHE KURSE | Erkennen, was dahinter steckt
Pohl-Patalong, Uta. Bibliolog. 1: Grundformen. 3. Aufl. Suttgart: Kohlhammer, 2013.
Diözesanstellen für Bibelarbeit:
BeMa, Referate im Seelsorgeamt /. „Links und Downloads Bibel Kärnten“
Bibel | Katholische Kirche Steiermark
Bibelwerk Linz - die Experten in der Bibelarbeit in Oberösterreich
Diözese Eisenstadt - Katholische Kirche im Burgenland