Ökumenismus, Konfessionalisierung und das II. Vatikanum. Mag.a Linda Kreuzer und Albert Schromm-Sukop, BTh vom Ökumenischen Jugendrat klären uns nicht nur über die Basics zur Ökumenischen Theologie auf, sondern geben uns auch Einblick in die konkrete Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zu diesem Thema. Unser Host Sophie Mayr hat den beiden zahlreiche Tipps für euch entlockt ;-)
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Anfang März feiern Frauen in vielen Ländern den Weltgebetstag, seit 1988 wird in Österreich gleichzeitig der Kinderweltgebetstag (KWGT) begangen. Der Ökumenische Jugendrat will mit Projekten wie dem KWGT, Kindern und Jugendlichen ein offenes, inklusives Bild von Religion vermitteln.
Auf die Frage, was denn Ökumene sei, antwortet die 10 jährige Hanna: „Vielleicht irgendwas beim Pferd, wegen der Mähne?“. Vielen Personen, egal welchen Alters, die sich nicht mit theologischen Fragen auseinandersetzen geht es wahrscheinlich ähnlich. Und doch hatte Hanna, genauso wie die meisten Menschen, die eine Bildungseinrichtung und eine christliche Kirche besucht haben, schon Kontakt mit Ökumenismus.
Ökumenische Feiern, die Gebetswoche zur christlichen Einheit, Sammlungen, Fürbitten, Liedgut - seit dem II. Vatikanischen Konzil spielt die Ökumene bzw. der Ökumenismus als Haltung und Bewegung auch in der römisch-katholischen Kirche eine Rolle. Und von wegen römisch-katholisch: Jede Annäherung an den Begriff bedarf einer Standpunktklärung. Jede Konfession hat einen kontextuell bestimmten Zugang zum Begriff. Aus römisch-katholischer Perspektive sollte eine Analyse bzw. Bewertung nur zurückhaltend geschehen, müssen doch die Privilegien einer Mehrheitsreligion bzw. -konfession bedacht werden, außerdem war die r.-k. Kirche erst in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts offiziell bereit für aktive Beteiligung.
Die griechische Wortbedeutung von „Ökumene“ lautet etwa „die bewohnte Erde“, den gesamten Erdkreis betreffend. Das Lexikon für Theologie und Kirche führt den Begriff „Ökumenik“ als „aus der ökumenischen Bewegung hervorgegangene theologische Disziplin, die über die Konfessionskunde hinaus selbstkritischen Dialog zwischen den christlichen Glaubensgemeinschaften einleitet (…)“ [1]. Der Artikel zur ökumenischen Bewegung von Yves Congar setzt historisch in der alten Kirche mit ihrer Sorge um die innere Einheit an und führt dann durch die Epochen bis zum zentralen Kulminationspunkt, der Konferenz der Missionsgesellschaften 1910, wo der anglikanische Theologe Charles Henry Brent zu einer „Weltbegegnung der Christen über die Fragen Glaube und Kirchenverfassung“[2] aufrief. Er war auch einer der ersten, der explizit die Teilnahme der römisch-katholischen Kirche an der Bewegung hin zur Einheit der Christ*innen forderte. Das beginnende 20. Jahrhundert war gekennzeichnet durch die sich institutionalisierende Ökumenische Bewegung. „Der erste Abschnitt der Geschichte der Ökumenischen Bewegung (…) näherte die Christen in Aktion an.“[3] Es waren in dieser Phase weniger die Fragen der Lehre oder Kirchenverfassung Thema, sondern gemeinsames christliches Handeln stand im Fokus. Der Weltgebetstag der Frauen mit seinem Gründungsjahr 1927[4] war Ausdruck dieser Haltung. Gemeinsam beten, voneinander lernen, füreinander da sein.
Für die Kinderpastoral oder die religionspädagogischen Angebote in Bildungseinrichtungen spielt Ökumene eine große Rolle. Pluralität als Faktum unserer gesellschaftlichen Realität lässt zum Beispiel im schulischen Kontext oft keine andere Möglichkeit als ökumenische und interreligiöse Begegnungen und Feiern.[5]
Der Ökumenismus als Bewegung und Haltung ist eine Herausforderung für die eigene religiöse Entwicklung. Ökumene heißt in die Auseinandersetzung mit der eigenen Glaubenstradition, der eigenen Konfession, zu treten. Woran glauben wir und warum gibt es so viele, doch sehr unterschiedliche, Glaubensrichtungen? Was ist richtig, was falsch?
In Österreich wurde der Kinderweltgebetstag 1988 vom Evangelischen Jugendwerk begründet. Als gemeinsames Projekt übernahm der Ökumenische Jugendrat (ÖJR) die Gestaltung des Feiervorschlages, auf der Basis der fertigen Materialen des Weltgebetstages der Frauen. Diese Materialien werden vom Schwerpunktland gestaltet und dann in die jeweiligen Landessprachen übersetzt und teilweise adaptiert. 2024 steht Palästina im Mittelpunkt, was aufgrund des Terrorangriffs der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem darauffolgenden militärischen Gegenschlag medial problematisiert wurde. Das Schwerpunktland wurde vor drei Jahren vom Weltkommitee bestimmt, das Motto „durch das Band des Friedens“ wurde von der pax christi Nahostkommision am 19.2.24 ausdrücklich begrüßt.: „Der Weltgebetstag bietet eine Chance, sich über die Situation in Palästina zu informieren und mit christlichen Palästinenserinnen zusammen zu beten“, so die Sprecherin der Nahostkommission, Wiltrud Rösch-Metzler.[6]
Der ÖJR wurde von altkatholischer, evangelisch-A.B und H.B., evangelisch-methodistischer Seite und dem internationalen christlichen Jugendaustausch 1958 ins Leben gerufen. Römisch-katholische Organisationen waren erst ab 1967 mit der Arbeitsgemeinschaft Katholische Jugend Österreich und ab 1989 durch den Beitritt der Katholischen Jungschar Österreichs aktiv.[7] Die Erstellung der Feiervorschläge obliegt einem Team, das sich optimalerweise aus möglichst vielen Mitgliedskirchen zusammensetzt. Der Feiervorschlag wird dann via der Website des Weltgebetstags der Frauen und der Website des ÖJR zur Verfügung gestellt. Die Kirchen gehen unterschiedlich in der Bewerbung vor, einerseits ist das der diversen Organisationsstruktur geschuldet. Die Römisch-Katholische Kirche und die Katholische Aktion mit ihren Mitgliedsvereinen wie der KJÖ und der KJS hat hier durch zentral organisierte Einheiten und Informationskanäle sehr gute Verbreitungsmöglichkeit. Die Wichtigkeit des Kinderweltgebetstages wird aber traditionell stark vor allem in evangelischen Gemeinden herausgestellt, auch im schulischen Bereich forcieren oft die evangelischen Religionslehrkräfte ökumenische Feierangebote.
Andererseits stellt sich bei der Bewerbung und Durchführung wieder einmal die Ressourcenfrage, der Weltgebetstag der Frauen wird bis auf ein kleines Team Hauptamtlicher pro Land ehrenamtlich getragen. Die Geschäftsstelle des Weltgebetstages der Frauen in Österreich wird zum Beispiel von zwei Hauptamtlichen geführt, die von einem von den Mitgliedskirchen beschickten Vorstand begleitet wird.
Die Bewerbung des KWGT innerhalb der römisch-katholischen Kirche hängt aufgrund der Zielgruppe (Kinder ab dem Schuleintrittsalter bis zur Firmung bzw. etwa von 6 bis 14 Jahren) an den Kanälen der Katholischen Jungschar. Wie viele Jungschargruppen sich mit anderen Konfessionen zu ökumenischen Feiern treffen, ist nicht bekannt. Dass allerdings Elemente des Feiervorschlages auch für Gruppenstunden verwendet werden und konfessionell homogene Kinderweltgebetstagsfeiern veranstaltet werden, ist anzunehmen. Der Feiervorschlag selbst ist im weitesten Sinn als Wortgottesdienst gestaltet, als zentrale Elemente, die Bibelstelle und das Vater Unser. Der verbindende Gedanke soll durch die Fürbitten deutlich gemacht werden. Je nach Schwerpunktland gibt es Begleitmaterial, Hintergrundinformationen über das Spendenprojekt, für das gesammelt wird oder Hinweise zur Lebenssituation der Kinder vor Ort, ihren Spielgewohnheiten, traditionellen Liedern oder Speisen.
Der Kinderweltgebetstag hat, in Anlehnung an das Konzept des Weltgebetstages der Frauen, politisch-sozialen Charakter. Einerseits durch den Aufruf zum Spenden-Sammeln für die jeweiligen nationalen Hilfsprojekte, andererseits durch den sozialethischen Bildungsauftrag. Wissen über andere Kulturen bzw. Lebensrealitäten vermitteln, ein Verständnis von Privilegien und Entwicklung des Bewusstseins für globale Solidarität anstoßen und sich explizit mit den Grenzen und Begrenzungen der eigenen Tradition bewusst auseinandersetzen und diese im gemeinsamen Feiern überwinden, das wären aus pädagogischer Sicht formulierte Kompetenzen. Mehrere Fragen ergeben sich aus diesem Fokus. Worin unterscheidet sich eine Weltgebetstagsfeier von einer offen geplanten Unterrichtsstunde? Welchen spirituellen Mehrwert haben Kinder durch eine solche Feier? Geht der Feierimpuls von den Kindern aus oder wird die religiöse Begleitung von Kindern für politische Anliegen instrumentalisiert?
Die Motive hinter einer geplanten Kinderweltgebetstagsfeier sind unterschiedlich. Kindern ein Verständnis von Einheit in Vielheit zu vermitteln, also dass es bei den vielen Unterschieden um einen gemeinsamen Glaubensinhalt geht und dass aktives Gestalten der Welt ein christlicher Grundauftrag ist, dafür stehen die christlichen Kinder- und Jugendvertreter*innen. Ökumene sei ein Lernprozess, das konstatierte auch der deutsche Kardinal Karl Lehmann zum 50. Jahrestag des Ökumene-Dekrets des II. Vatikanischen Konzils Unitatis Redintegratio.[8] Neben dem sozialethischen Aspekt soll und kann also auch eine ökumenisch gestaltete liturgische Feier theologische und spirituelle Lern- bzw. Erfahrungsprozesse anstoßen.
Die Rückmeldemöglichkeit zur Umsetzung des Feiervorschlags via Online-Fragebogen, die Mitte der 2010er Jahren via der Seite des ÖJR zur Verfügung gestellt wurde, hatte keinen großen Zulauf. Die meisten Rückmeldungen in den Jahren 2016-2018 kamen von (Religions-) Lehrerinnen, die in ihrer Schule eine Feier gestaltet haben. Die Zusammenarbeit von römisch-katholischen und evangelischen Religionslehrkräften ist vergleichsweise leicht umzusetzen bzw. haben doch die ressourcenstärksten Religionsgemeinschaften mit den meisten Mitgliedern da einen klaren Vorteil. Feiern mit den mitgliederschwachen christlichen Konfessionen konnten bzw. können meistens nur in Ballungsräumen durchgeführt werden. Zum Beispiel bemüht sich der Ökumenische Jugendrat jedes Jahr um eine möglichst breit eingeladene Veranstaltung, der Ort - Bundesland und sakraler Raum - haben bisher variiert. Die Mitglieder des ÖJR können aufgrund ihrer Funktionen in den Kirchen und konfessionellen Vereinen überregionale Informationskanäle nutzen, deshalb waren bei den bisherigen vom ÖJR gemeinsam veranstalteten Kinderweltgebetstagsfeiern auch mehr als zwei Konfessionen vertreten.
Wie viele Feiern auf Pfarr- bzw. Gemeindeebene durchgeführt wurden bzw. werden, darüber gibt es leider keine validen Zahlen. Einzelne Rückmeldungen haben die Schwierigkeit betont, dass die Koordination in der eigenen Pfarre schon ausreichend zeitintensiv ist und dass zu wenig Ehrenamtliche in den jeweiligen Konfessionen explizit Ökumene als Fokus haben und diesbezüglich Kontakte pflegen. Institutionalisierte konfessionsübergreifende Initiativen gibt es österreichweit nur wenige, die Gründe dafür wurden bisher nicht ausreichend beforscht. Einzelne Rückmeldungen weisen immer wieder auf den Mangel an Ressourcen hin: personell, finanziell und zeitlich. Gemeinsam feiern, prinzipiell immer gerne, aber Zusatzangebote zu planen, zu bewerben und durchzuführen braucht viel Arbeitskraft.
Für die allgemeine österreichweite ökumenische Zusammenarbeit ist der Ökumenische Rat der Kirchen Österreichs (ÖRKÖ)[9] zuständig. Hier werden gemeinsame Projekte angestoßen, theologische Debatten geführt und um den Begriff der Ökumene gerungen, stellt sich doch immer wieder die Frage, wer wird als christliche Kirche anerkannt und in den Rat aufgenommen?
Am Beispiel der Neuapostolischen Kirche Österreich kann sehr gut nachvollzogen werden, dass Kinder- und Jugendorganisationen der jeweiligen Konfessionen rasch und unkompliziert Zusammenarbeit gestalten. Die Neuapostolische Kirche (NAK) Österreich war bereits einige Jahre bevor sie als vollwertiges Mitglied in den ÖRKÖ aufgenommen wurde, aktives Vollmitglied im Ökumenischen Jugendrat. Eine der ersten vom Ökumenischen Jugendrat überregional veranstalteten Kinderweltgebetstagsfeiern fand 2016 in der neu gestalteten Kirche der NAK im 14. Bezirk in Wien unter der Mitwirkung von vier Vertreter*innen christlicher Konfessionen statt.
Das Verständnis der religiösen Begleitung von Kindern und Jugendlichen ist ein Spannungsfeld und Indikator für bestimmte Ekklesiologien, dem Verständnis von dem, was Kirche sein bedeutet. Die Bewegung des Ökumenismus ist eine inklusive, Grenzen überwindende. Die Katholische Jugend hat die Bedeutung der Ökumene für die Zukunft der Kirche schon früh in ihrer Arbeit berücksichtigt und sich dafür engagiert, genauso versteht die Katholische Jungschar in ihrem religionspädagogischen Selbstverständnis ökumenisches Feiern als integrativen Bestandteil ihrer gelebten Spiritualität. Junge Menschen können oft nicht nachvollziehen, warum theologische und politische Konflikte, die Jahrhunderte zurück liegen, die Distanz zwischen den Kirchen bei zum Beispiel der Abendmahlfrage so groß erscheinen lässt. Genauso oft wird die Frage nach dem Sinn des konfessionellen Religionsunterrichts gestellt, wo doch die Themen und die Grundlagen, wie die Bibel, doch am ersten Blick die gleichen seien. Ökumenische Begegnungen können Erkenntnisprozesse anstoßen. Die Religionspädagogen Friedrich Schweitzer und Albert Biesinger sehen hier die doppelte Perspektive, nämlich Gemeinsamkeiten zu entdecken, diese zu stärken, um überhaupt den Unterschieden gerecht werden zu können.[10]
Mag.a Linda Kreuzer war viele Jahre in der außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit u.a. bei der Katholischen Jungschar (im Rahmen ihrer Tätigkeit als Vorsitzende des Ökumenischen Jugendrates) aktiv. Sie ist ausgebildete Religionspädagogin und Katholische Fachtheologin, lehrt an der KPH Wien/Strebersdorf und arbeitet aktuell als Universitätsassistentin am Institut für Systematische Theologie und Ethik im Fachbereich Sozialethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.
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[1] Bartz, W: Ökumenik. LThK 7, 1128. Zweite Ausgabe, 1986.
[2] Congar, Y.: Ökumenische Bewegung. LThK 7, 1130. Zweite Ausgabe, 1986
[3] Ebd. 1130
[4] Vgl. https://weltgebetstag.de/ueber-uns/geschichte/ {25.2.24}
[5] Vgl. Lehner-Hartmann, A., Peter, K., Stockinger, H.: Religion betrifft Schule. Religiöse Pluralität gestalten. Kohlhammer, 2022. 19ff.
[6] https://weltgebetstag.de/aktuelles/news/wgt-2024/ {26.2.24}
[7] www.oekumenischer-jugendrat.at/historisches-zum-oejr/ {25.2.2024}[8] https://bistummainz.de/export/sites/bistum/gesellschaft/oekumene-neu/.galleries/downloads/20141121_Lehmann_unitatis_redintegratio.pdf {24.2.2024}
[9] https://www.oekumene.at/ {25.2.24}
[10] Vgl. Schweitzer, F., Biesinger, A.: Gemeinsamkeiten stärken – Unterschieden gerecht werden. Erfahrungen und Perspektiven zum konfessionell kooperativen Religionsunterricht. Freiburg/Gütersloh. 2002.